Abstract |
Der Titel der angebotenen Sektion ist in Anlehnung an einen Aufsatz gewählt, den Roland Barthes im Jahr 1967 für die Festschrift von Roman Jakobson verfasst hat: „Proust et les noms“ (dt. Übers. in: R. Barthes, Proust, S. 21–36). Barthes definiert dabei die epische Funktionalisierung von Eigennamen („noms propres“) als ein genuin poetisches Element im Sinne Jakobsons: „un élément proprement poétique (au sens que Jakobson donne à ce mot)“. Die damit implizierte paradigmatische Selbstreferentialität der Eigennamen auf den literarischen Text macht Barthes an deren eigentümlicher Ambivalenz von phonetischer Autonomie (Signifikant) und semantischer Dichte (Signifikat) fest, für die er eine – im Sinne der kratylischen Sprachauffassung – motivierte Beziehung (als gleichwohl konstruierte ‚natürliche‘ Affinität) unterstellt. Der Romancier als Textproduzent hätte dabei die Aufgabe, eine ‚Imitation‘ zwischen Signifikant und Signifikat erst zu kodieren, während es den Romanfiguren (in Prousts ›Recherche‹ insbesondere dem erinnernden Ich des Erzählers) zukomme, diese ‚Imitation‘ zu dekodieren. Barthes exemplifiziert seinen Ansatz u.a. an dem in Prousts Roman wirksamen Paradigma einer Opposition langvokalischer Adelsnamen (Guermantes) und kurzvokalischer Bürgernamen (Swann), das seinerseits räumlich semantisiert werden könne, so in den zwei Wegen, die von der Provinzstadt Combray zu den Landsitzen der beiden Familien führen (Du côté de chez Swann – Du côté des Guermantes). Namen bilden auf diese Weise das ‚Gerüst‘ („armature“), die ‚Tiefensyntax‘ („syntaxe profonde“) des Romans. In einer späten Arbeit über die ‚Vorbereitung des Romans‘ (von 1980) resümiert Barthes, dass das Register von Eigennamen, wie es sich in konventionellen Werkausgaben finde, nicht nur ein Arbeitsmittel, sondern nachgerade ein ‚Röntgenbild‘ des Werks, seine inhärente ‚Wahrheit‘ darbiete (vgl. R. Barthes, Proust, S. 187).
Die angebotene Sektion versucht, den Bartheschen Ansatz für eine Interpretation der Namen in Wolframs ›Parzival‹ nutzbar zu machen: Der Dichter erschuf bekanntlich zahlreiche Eigennamen für die in Chrétiens Vorlage unbenannten Figuren und erzeugte dabei schillernde Semantisierungen (Herzeloyde, Sigune). Wie die Forschung (J. Fourquet, W. Schröder) nachgewiesen hat, bediente sich Wolfram nicht nur aus Hartmanns ›Erec‹ (Liste der Artusritter, vv. 1629–1693), sondern formte in produktiver Anverwandlung weiterer Vorlagen eine imaginäre Welt höfischer Pracht und exotischer Fremde. Auf diese Weise gelangen, vergleichbar den bürgerlichen und adeligen Milieus der ›Recherche‹, unterschiedliche Handlungskreise zur Darstellung: die Artusgesellschaft, die Gralsgemeinschaft, die Welt des Orients. Dabei werden über lautliche Phänomene je spezifische soziotopologische Atmosphären erzeugt, tendenziell etwa über kurzsilbige Namen jene des Artuskreises (Artus, Gawan, Keie, Ither), über langsilbige Namen jene der Gralsfamilie (Anfortas, Trevrizent, Schoysiane, Herzeloyde, Repanse de schoye), über fremdartige, vokalvariante Namen jene des Orients (Feirefiz, Secundille, Flegetanis). Barthes hat solche ‚Territorialisierungen‘ für Prousts Roman mit dem Begriff der ‚francité‘ belegt, der das Prinzip treffend bezeichnet und der – zumindest für die französische Handlungswelt des ›Parzival‹ – sogar adaptiert werden könnte.
Im Beitrag sollen vor diesem Hintergrund aussagekräftige Stellen des Romans zur Sprache kommen, darunter insbesondere auch solche, in denen Personennamen und Dingnamen miteinander kombiniert werden, etwa paradigmatisch, wenn der Gral explizit ‚benannt‘ wird (daz was ein dinc, daz hiez der Grâl, 235.23, ähnlich 454.21): Repanse de schoye präsentiert (in 235.20–26) den Gral auf dem grünen Seidenstoff achmardî (wohl nach dem missverstandenen arabischen Wort für ‚rot‘); der Heide Flegetanis liest in den Sternen den Gralsnamen – wie der hiez (454.17–23, wohl in arabischer Schrift – der karakter a b c – die im Zusammenhang mit dem Gewährsmann und Übersetzer Kyot erwähnt wird: 453,15).
Vor dem Hintergrund von Barthes’ Verständnis der Eigennamen als episches ‚Gerüst‘ sollen auch die im ›Parzival‹ enthaltenen Listen der von Feirefiz und Parzival besiegten Gegner (770, 772) sowie der in Nachbarschaft des Grals befindlichen Edelsteine (791) Berücksichtigung finden. Sie bergen in ihrer Paradigmatik episches Potential, das der Roman nicht weiter auserzählt (Kampfhandlungen, magische Wirkungen). Dabei verdienen auch Varianten in der handschriftlichen Überlieferung (nomenklatorische Abweichungen bzw. Verskürzungen) Beachtung. Sie spielen auch dort eine Rolle, wo sich im Vergleich von Fassungsvarianten (mit der wohl älteren Stufe *T) Schichten der Textgenese abzeichnen: etwa bei dem wohl erst später in den Text geratenen Toponym Famorgan (496.7 f.), ebenso bei der wohl erst nachträglich zu Parzivals Tante gemachten Lammire (in *T noch auf Ither bezogen: sîne basen, 499.3/7) oder bei der produktiv hergestellten Verwandtschaft der Cunneware zur Familie de Lalant (Orilus, Lähelin, vgl. 151.22, 153.2). Solche offenbar im Zuge der Arbeit am Text vorgenommene ‚Kodierungen‘ sollen anhand der vor dem Abschluss stehenden digitalen Parzival-Edition (https://parzival.unibe.ch/parzdb/index.php) vorgestellt werden.
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