‚Far Cry 4‘ führt die Hauptfigur nicht nur auf eine Reise in die atemberaubende Landschaft des fiktiven Himalaya-Königreichs Kyrat, sondern auch in die Höhen und Tiefen der Geschichte zwischen die Fronten von Traditionalisten und Modernisierern. (Titelbild und diese Abb. eigener Screenshot, Nolden)
Im Mittelpunkt der zweitägigen Online-Tagung stehen räumliche Darstellungen mithilfe von Bildschirmen sowie in Virtual und Augmented Reality als Transportmittel für Geschichtsbilder. Die Tagung richtet sich gezielt an die geschichtwissenschaftliche Forschung zu digitalen Spielen, die medienwissenschaftlichen Game Studies, geschichtsaffine Medien- und Kulturwissenschaften sowie die Geschichtsdidaktik.
Vergangenheitsatmosphären und Verkörperung in digitalen historischen Räumen
Rezipient/innen sind bezüglich historischer Wissensangebote für digitale Spiele und virtuelle Räume wenig erforscht. Ihr eigenständiges Handeln in digitalen Räumen aber wirft unumgänglich Forschungsfragen auf, wie die Spielenden selbst eine angelegte Umgebung als historisch wahrnehmen und entlang ihres Spielpfades individuelle Geschichtsinterpretationen hervorbringen. Zu wenig ist deshalb die Brücke für ihre Wahrnehmung verstanden, die in der Verkörperung von Spielenden durch Ego-Sicht, Avatare oder frei schwebende Perspektiven in digitalen historischen Räumen liegt. Die Inszenierungen dieser Verkörperung bilden eine wesentliche Grundlage für die Entstehung von Vergangenheitsatmosphären. Diese verbinden wahrnehmende Subjekte mit ihrer Umgebung, weshalb viele weitere Mechanismen wie Soundscapes und Lichtstimmungen für sie zusammenwirken. Vergangenheitsatmosphären suggerieren einen unmittelbaren, ganzheitlichen Zugang zur Vergangenheit. Das begründet einerseits den großen Erfolg bei Nutzer/innen, fordert andererseits Historiker/innen heraus, diese Atmosphären kritisch einzuordnen. Besonders relevant macht Vergangenheitsatmosphären für eine geschichtswissenschaftliche Forschung, dass sie eine gefühlte Authentizität hervorrufen.
Die Verkörperung der Spielenden im Zusammenwirken mit Vergangenheitsatmosphären zu entschlüsseln, ist deswegen über digitale Erfahrungsräume hinaus ein wichtiges geschichtswissenschaftliches Desiderat, dem Historiker/innen zu wenig Aufmerksamkeit widmen. Auf der Suche nach historischen Vorstellungen von Rezipient/innen verspricht dieser Zugriff Erkenntnisse, um auch analoge körperzentrierte Phänomene der Geschichtskultur wie etwa Reenactment und Living History besser zu verstehen. Verknüpft sind analoge und digitale Sphären zudem, weil immersive digitale Medien parallel zur Darstellung und Vermittlung von Geschichte genutzt werden – in Gedenkstätten und Museen, als touristische Attraktion oder Bildungsangebote.
Solche geschichtskulturellen Phänomene der Gegenwart machen immersive Medien auch zu einem relevanten Gegenstand der Geschichtsdidaktik. Spielen Technologie, Ästhetik und Inhalte zusammen, verspüren Rezipierende eine persönliche Präsenz und nehmen die hervorgerufenen Atmosphären eher distanzlos und unreflektiert als Zugriff auf vermeintlich reale Vergangenheiten wahr. Emotionale und affektive Präsenzerfahrungen müssten also in ihrer Spannung zu kognitiven Auseinandersetzungen mit Geschichte und Vergangenheit bewertet werden. Unter Berücksichtigung der Grundsätze im Beutelsbacher Konsens sind geschichtsdidaktische Gütekriterien zu benennen und geeignete Vermittlungsszenarien im Sinne eines geschichtskulturellen Lernens für den Geschichtsunterricht und außerschulische historisch-politische Bildung zu entwickeln.
Tagungsthema und -konzept
Der Geschichtswissenschaft gelingt es nur schlecht, die performativen Sphären von zum Beispiel musealen Ausstellungen, Gedenkfeiern, Reenactment und Living History mit digitalen Geschichtssorten wie digitalen Spielen als Transportwege für historische Vorstellungen zu verknüpfen. Die Tagung richtet sich daher gezielt an die geschichtwissenschaftliche Forschung zu digitalen Spielen, die medienwissenschaftlichen Game Studies, geschichtsaffine Medien- und Kulturwissenschaften sowie die Geschichtsdidaktik. Im Mittelpunkt des Interesses stehen räumliche Darstellungen mithilfe von Bildschirmen sowie in Virtual und Augmented Reality als Transportmittel für Geschichtsbilder.
Die zweitägige Vortrags- und Arbeitstagung wird online und ganztägig am 25./26.2.2021 abgehalten. Angestrebt ist, Tag 1 online zu übertragen und die Vorträge aufzuzeichnen, um sie auf einer Universitätsplattform oder alternativ einem Youtube-Kanal zu veröffentlichen. Der zweite Tag sieht eine Zusammenarbeit der Teilnehmenden in mehreren parallelen Panels an drei Themenkomplexen vor. Verwendet werden dafür Etherpads, Google Doc zum kollaborativen, kommentierbaren Arbeiten in Versionsständen und ein Tool wie Mural, das Brainstorming und Notizen erlaubt. Die Teilnehmenden werden ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Anmeldung in diesen Plattformen im Vorfeld notwendig sein kann.
Geplante Publikation
Der Aufruf, den die Teilnehmenden im Workshop gemeinsam entwickeln, richtet sich gezielt an die Sphären der Museumsforschung, Gedenkstätten, Forschungen zu Living History, Reenactment und Performativität sowie Theaterwissenschaften. Als erinnerungskulturell relevante Felder verbindet sie ihre räumliche Orientierung mit den digitalen Räumen. Diese Vorgehensweise setzt zwei klare Schwerpunkte miteinander für eine gemeinsame Publikation in Bezüge.
Geplant ist, dass die Referent/innen ihre Vorträge zu einem Artikel ausformulieren und zu einem Sammelband über „Geschichte in Virtuellen Räumen. Vergangenheitsatmosphären und Verkörperung in digitalen historischen Räumen“ beitragen. Als Abgabetermin für den Beitrag ist Oktober 2021 vorgesehen.
Anmeldung
Wir suchen Themenvorschläge für Vorträge in einer Länge von 20 Minuten. Teilnahme und aktive Mitarbeit am gesamten Workshop wird vorausgesetzt.
Formulieren Sie diese Idee als Exposé von maximal 1500 Zeichen zusammen mit einer akademischen Kurzbiografie von 250 Zeichen aus. Der Umfang versteht sich jeweils inklusive Leerzeichen.
Bitte ordnen Sie Ihre Einreichung Ihrem gewünschten Themenschwerpunkt zu:
– Verkörperung in digitalen historischen Räumen
– Vergangenheitsatmosphären in digitalen historischen Räumen
– Immersive digitale Räume und Historisches Lernen
Deadline: 15. Januar 2021
Einzureichen sind die Vorschläge als PDF an die Mailadresse: nico.nolden@hist.uni-hannover.de
Anregungen für Fragestellungen
Mögliche Fragestellungen für ihre Einreichungen können Sie aus den folgenden Feldern ableiten. Diese Felder dienen der Anregung, sind also nicht als abschließende Aufstellung misszuverstehen.
– historische Vorstellungen, Wahrnehmungen und Geschichtsbilder
– Verkörperung in historischen Räumlichkeiten
– Technologien unterschiedlicher digitaler Sphären
– historischen Vorstellungen über Verkörperungen im Raum
– digitale und analoge historische Performances
– „Doing History“, Geschichtspraktiken
– atmosphärischen Qualitäten von Vergangenheitsdarstellungen
– Mensch-Maschine-Beziehungen, Interface Culture
– Aushandlungen: Was darf/kann “Geschichte” sein, was nicht?
– Aneignungs- und Gebrauchsformen digitaler Weltentwürfe
– Handlungsformen situativer Geschichtsproduktion
– zielgruppen- und medienspezifischen Geschichtsgewohnheiten
– Orientierungsdiskurse von Verständigungsgemeinschaften (Geschichtskultur, Erinnerungskultur)
– Medialität und Performanz
– Historizität aufgrund von Entstehungs- und Rezeptionszeiträumen
– Diachrone Blickwinkel auf die Veränderung von Geschichtsbildern und –konzepten
– Synchrone Blickwinkel auf Geschichtsbilder in unterschiedlichen digitalen Medienformen
– methodische und theoretische Erkenntnisse über Konstruktion durch Geschichtspraktiken
– Handlungsmacht in digitalen Weltentwürfen
– Bewusstsein von Nutzer/innen beim Mitwirken bei Geschichtsprozessen (Empowerment)
– Einzel- und Mehrspieler-Erfahrungen vs. Einzel- und Gruppenerfahrungen
– inter- und transkulturelle Einflüsse in digitalen Spielen, VR und AR
Organisation
Seit nunmehr fünf Jahren leistet Arbeitskreis Geschichtswissenschaft und Digitale Spiele (AKGWDS) Integrations- und Netzwerkarbeit, um die Geschichte in und von digitalen Spielen zu erforschen. Dabei führt er Forschende, Lehrende und Studierende an den Hochschulen zusammen, überwindet Hierarchien von Anfänger/innen bis zu Professuren und entwickelt interdisziplinäre Anschlusspunkte zu anderen Fachrichtungen. Die Zusammenarbeit übergreift dabei die Grenzen im deutschsprachigen Raum und bewusst auch zu nicht-akademische Praxisfeldern wie dem Journalismus, der Gamesbranche und Schulen, deren Vertreter/innen ebenso Mitglieder sind.
Die Tagung ist eine gemeinsame Veranstaltung von Christian Bunnenberg (Ruhr Universität Bochum), Nico Nolden (Leibniz Universität Hannover) und Felix Zimmermann (Universität zu Köln). Ihre langjährige Expertise mit digitalen Erfahrungsräumen stützt das Leitthema mit den drei essentiellen Säulen „Historisches Lernen“, „Geschichtspraktiken und Verkörperung“ sowie „Vergangenheitsatmosphären“.
Kontakt
nico.nolden@hist.uni-hannover.de